Werne. Das Hissen der Freifahne zur Eröffnung der Sim-Jü-Kirmes war 2009 seine erste offizielle Amtshandlung als neuer Bürgermeister der Stadt Werne. Und mit diesem symbolischen Akt wird Lothar Christ Ende Oktober seine 16-jährige Amtszeit beenden und wenige Tage später sein Büro im dritten Stockwerk des Stadthauses an seinen Nachfolger übergeben.
Wer das ist, entscheidet sich am 14. September bei der Kommunalwahl oder möglicherweise erst zwei Wochen später in einer Stichwahl. Fünf Kandidaten bewerben sich für den Posten des Stadtoberhauptes.
Lothar Christ blickt insgesamt auf eine 22-jährige Tätigkeit bei der Stadt Werne zurück. Im September 2009 trat der Jurist seinen Dienst als 1. Beigeordneter an, damals noch unter Bürgermeister Meinhard Wichmann. Sechs Jahre später, im August 2009, folgte der Wechsel auf den Chefsessel, den er von Wichmanns Nachfolger Rainer Tappe übernahm. 66,7 Prozent der Wähler gaben Christ bei der Wahl ihre Stimme. Bei seiner ersten Wiederwahl konnte er dieses Ergebnis im Jahr 2014 mit 73,1 Prozent noch steigern, fünf Jahre später schenkten ihm 56,3 Prozent der Wähler ihr Vertrauen.
Im Gespräch mit WERNEplus blickt der scheidende Bürgermeister auf seine Amtszeit zurück, auf seine Erfolge, aber auch Misserfolge. Und er erklärt, was es für ihn bedeutet, Bürgermeister der Stadt Werne zu sein.
Sie sind seit 2003 in der Werner Stadtverwaltung in führender Position tätig. Zuerst als erster Beigeordneter und seit 2009 als Bürgermeister. Wie schwer fällt Ihnen der Abschied?
Schon schwer. Die Arbeit macht mir bis heute Spaß, vor allem der Kontakt mit den Menschen. Und ich kann Ihnen sagen, es ist schon ein besonderes Gefühl, die Verantwortung für so eine Stadt von einem auf den anderen Tag abzugeben. Die Geschicke einer Stadt an vorderster Front mitgestalten zu dürfen, ist schon ein ganz besonderes Privileg.
Beim Rückblick auf Ihre Amtszeit: Gibt es etwas, auf das Sie besonders stolz sind?
Eine Menge. Angefangen bei der hervorragenden Bildungslandschaft über die Freiwillige Feuerwehr, einem sehr schönen und funktionierenden Solebad bis hin zum pulsierenden Wirtschaftsleben in unserer Stadt.
Wir stehen schon in vielen Belangen sehr gut da. Aber wenn ich ein Beispiel der vergangenen 16 Jahre heraussuchen soll, dann ist es der Bau der Umgehungsstraße und ein damit zusammenhängender Plan, der bei einem Gespräch im Verkehrsministerium in Düsseldorf verabredet wurde: Durch die Fertigstellung der Umgehungsstraße konnte die vorher mitten durch Werne gehende B 54 auf die Umgehungsstraße verlegt werden. Die Münsterstraße konnte zur Gemeindestraße umgewidmet werden, um sie peu a peu zurückzubauen. Außerdem konnte ich in diesem Deal erreichen, dass der Straßenzug Ovelgönne/Penningrode/Selmer Landstraße von einer Landesstraße zur Kreisstraße umgewidmet wurde und komplett neu gestaltet werden soll. Natürlich ist das noch nicht alles umgesetzt. Aber die Weichen dafür sind gestellt. Wenn ich mir vorstelle, der ganze Verkehr auf der Umgehungsstraße würde heute noch durch die Innenstadt fahren – das wäre unerträglich. Und schließlich war die Umgehungsstraße auch der Schlüssel zum Erfolg für das Gewerbegebiet Wahrbrink-West, mit dem wir bis heute bereits mehr als 10 Millionen Euro Gewinn gemacht haben. Nicht zuletzt die Ansiedlung von Amazon, wo demnächst bis zu 2500 Menschen arbeiten werden, war davon abhängig.
Und was ist Ihnen nicht so gut gelungen? Was hätten Sie besser machen können?
Nicht gelungen ist der Kooperationsstandort (Anm. der Redaktion: Das Industriegebiet an der Nordlippestraße, das in einem Bürgerentscheid scheiterte). Das ist keine Frage. Ob es den jetzt gäbe, wenn man irgendetwas anders gemacht hätte, weiß ich nicht.

Gibt es Projekte, die Sie gern noch zu Ende gebracht hätten?
Das gibt es immer, wenn man in einer solchen Funktion geht. Ein Bürgermeister, der sagt, ich habe alles fertig gestellt, hat in den letzten zwei Jahren nichts Großes mehr angefangen. Und um ein paar konkrete Beispiele zu nennen: die soeben erwähnte Neugestaltung der Ovelgönne/Penningrode/Selmer Landstraße gehört sicherlich dazu. Auch hätte ich gerne den Surfpark auf dem Zechengelände eingeweiht. Aber wir haben das Baurecht geschaffen. Und damit ist der wichtigste städtische Teil an dem Projekt erledigt.
Werne leidet wie die meisten Kommunen seit Jahren unter der knappen Haushaltslage. Wird man in Anbetracht der Finanznot in der Funktion des Bürgermeisters nicht immer mehr zum Verwalter statt zum Gestalter? Und zum Überbringer schlechter Nachrichten?
Ja und nein. Richtig ist: Eine immer größer werdende Flut von Aufgaben für die Kommunen führt zu massiven Finanznöten und engt den Handlungsspielraum immer mehr ein. Gleichzeitig kommt es gerade mit einem kleinen finanziellen Rahmen auf eine geschickte Gestaltung an. Zum Beispiel die Ausschöpfung von Fördertöpfen wie etwa beim Kunstrasenplatz im Dahl und dem bevorstehenden Bau der Doppelturnhalle an der Klöcknerstraße. Richtig ist auch, dass man so manches Mal der Überbringer schlechter Nachrichten ist. Gleichzeitig wird das gute Erklären komplexer Situationen immer wichtiger. Darin steckt die Chance, einer qualitativeren Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern. Womit wir beim Bürgerdialog wären. Eine aus meiner Sicht besonders spannende und herausfordernde Aufgabe.

Nehmen wir als Beispiel das Regionale-Projekt „Werne neu verknüpft“, das sich im Wettbewerb behauptet hat und eine Förderzusage erhalten hat. Außer der Rückstufung der B 54 zur Gemeindestraße und dem Bau eines neuen Kreisverkehrs ist bisher nicht viel passiert. Der geplante Umbau des Horne-Grüngürtels lässt sich auf absehbare Zeit nicht verwirklichen, weil die Eigenmittel fehlen. Ist das nicht frustrierend?
Das ist ein gutes Beispiel und ein Beleg dafür, dass den Kommunen die Ressourcen fehlen, um solche Projekte nahtlos zur Ausführung zu bringen. Das zweite Teilstück und der zweite Kreisverkehr zwischen dem Stadthaus und der Marga-Spiegelschule sollen als nächstes in Angriff genommen werden und die Horne wird auch entsprechend der Wasserrahmenrichtlinie anzupassen sein. Was aber hinten rüber fällt, ist die Kür. Und das ist nicht nur schade, sondern auf Dauer für viele Kommunen gefährlich. Wenn man nur noch die Pflichtaufgaben und das unbedingt Notwendige macht und auf die weitergehende Gestaltung, also das „On Top“ verzichtet, verlieren die Städte und Gemeinden immer mehr an Reiz. Das gilt nicht nur für Werne. Ende vergangenen Jahres mussten wir in Bergkamen mitverfolgen, wie die Reißleine für die Planungen zur Beteiligung an der IGA 2027 gezogen werden musste.
„Man könnte als Bürgermeister unproblematisch 70 Stunden pro Woche arbeiten. (…) Und ich versuche auch immer mal wieder zu sagen: Heute bin ich kein Bürgermeister, heute ist Familienzeit.“
Lothar Christ zum zeitlichen Aufwand des Bürgermeisteramts
In der Funktion des Bürgermeisters ist man nicht nur Chef der Verwaltung, sondern auch Vorsitzender des Stadtrates und oberster Repräsentant der Stadt Werne. Wie kriegt man das unter einen Hut? Und wie stark leiden darunter die Freizeit und das Familienleben?
Das ist schon ein Spagat, bei dem man immer justieren muss. Man kann das mit einer zu kleinen Tischdecke auf einem Tisch vergleichen. Wenn man sie zu stark in die eine Ecke zieht, geht das auf Kosten der anderen. Die Entscheidung des Gesetzgebers vor rund 30 Jahren, beide Spitzenfunktionen (die des Bürgermeisters und des Stadtdirektors) in einer Person zu bündeln, war sachlich gut und sinnvoll. Was den Ausgleich zwischen beruflicher Verpflichtung und familiärem Anspruch anbelangt, sage ich, man muss auch mal „Nein“ sagen können. Man könnte als Bürgermeister unproblematisch 70 Stunden pro Woche arbeiten.
Das mache ich aber nicht. Das wäre auch nicht gut. Wenn ich irgendwo eingeladen bin, dann gehe ich dort hin und bleibe auch anderthalb oder zwei Stunden. Das ist für mich ein Zeichen der Wertschätzung. Dafür gebe ich an anderer Stelle Termine an meine Stellvertreter ab, die übrigens ihren Job sehr gut machen. Und ich versuche auch immer mal wieder zu sagen: Heute bin ich kein Bürgermeister, heute ist Familienzeit.
Im zweiten Teil des Interviews, der am Freitag (15.08.2025) erscheint, geht es unter anderem um Anfeindungen in den Sozialen Medien und seine Zeit nach dem Bürgermeisteramt.