Samstag, Februar 8, 2025

Mit Rohrstock und Ausdauer über den Kirchplatz: Stadtspiel begeistert 

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Werne. Weinselige Schankgesellschaften, fluchende Marktweiber, ein herrschsüchtiger Büttel: Mit diesen und anderen Alltagsszenen aus dem 17. Jahrhundert holte das „Theater für alle“ ein Stück Stadtgeschichte in die Gegenwart.

Und die denkmalgeschützte Kulisse des Werner Kirchplatzes verlieh dem Stadtspiel seine eigene Glaubwürdigkeit. Für zwei Stunden konnten sich die mehr als 500 Zuschauenden am Samstagabend (24. Juni) mitten in der Vergangenheit wähnen. Schließlich hätte sich alles so zugetragen haben können. Oder?

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„Alles ist so passiert, denn ich bin der einzige, der damals dabei war“, ulkte Gottfried Forstmann in seiner Rolle als Erzähler und Bürgermeister des Jahres 1622. Die dramatischen Ereignisse, die vor 400 Jahren die Werner Stadtprozession begründeten, bildeten den Rahmen für das Stück „Unsichere Zeiten – Werne zwischen Krieg und Frieden“: die wachsende Bedrohung durch den „tollen Christian“, der Kauf eines Schutzbriefes und die Ankunft von 40 rettenden Reitern aus Olfen. Auch der sagenhafte Nebel, in dessen Dichte der Braunschweiger Herzog die Lippestadt verfehlte, wurde angedeutet: Martialisches Hufgetrappel vom Band rauschte am Kirchplatz vorbei.

Doch zunächst ging in Werne alles seinen gewohnten Gang. Das bewährte Regie- und Autorenduo Marita Gräve und Gottfried Forstmann streute zahlreiche Begebenheiten aus dem frühneuzeitlichen Alltag ein. So erhielt das Publikum wie nebenbei eine unterhaltsame Doppelstunde in Heimatgeschichte. Es erfuhr, dass die Wäsche früher in der Horne gewaschen und auf den Uferwiesen zum Bleichen ausgelegt wurde. Dass die Bauern ihre Waren nicht auf dem Markplatz, sondern nur auf dem kleineren Roggenmarkt verkaufen durften. Dass die Bürgerwehren nach Straßenzügen eingeteilt waren und für die Stände auf dem Wochenmarkt eine Gebühr an den Marktmeister zu entrichten war. Wie heute auch noch.

Gottfried Forstmann führte zusammen mit Marita Gräve Regie, spielte den Bürgermeister und übernahm die Rolle als Erzähler.

Gräve und Forstmann hatten für eine abwechslungsreiche Abfolge der Szenen gesorgt; ein Team aus mehr als 100 gut aufgelegten Darstellerinnen und Darstellern erweckte sie zum Leben. Unter den Sprechrollen und Statisten waren Mitglieder der Freilichtbühne Werne sowie eine große Zahl von Laienschauspielern. Monatelang hatten sie sich auf dieses Wochenende vorbereitet.

Mit Erfolg: Alles lief wie am Schnürchen, jeder fühlte sich in seiner Rolle wie Zuhause. Holger Schulte stritt sich als Marktmeister nach Herzenslust mit renitenten Bauern und unwirschen Krämern. Dagmar Borowski-Wensing mischte als „Goldene Stimme aus Stockum“ eine illustre Herrenrunde in der Taverne ebenso auf wie das im Takt klatschende Publikum. Ihr Mann Dr. Hans-Joachim Wensing jagte als prügelnder Rektor der Lateinschule seine Zöglinge mit Rohrstock und Ausdauer über den Kirchplatz.

Einige Rollen hatte die Regie mit hintergründigem Augenzwinkern besetzt. Die Ratsfrau Marita Funhoff gab eine Bäuerin, die leidenschaftlich über den Bürgermeister und Stadtrat meckerte. Heidelore Fertig-Möller hatte sich in ihrer Rolle schon seit längerem eingelebt: Sie mimte den Sekretarius, als der sie im heutigen Werne regelmäßig für Stadtführungen unterwegs ist. Den Auftritt der stadtbekannten Brüder Ludger und Jürgen Menke kommentierte eine Bürgerin von Anno Dazumal mit den Worten „Diese Visagen habe ich hier noch nie gesehen.“ Das Publikum amüsierte sich und spielte überdies bereitwillig mit – wenn es sich bei einer öffentlichen Gerichtsverhandlung erheben oder dem wiedergewählten Bürgermeister ein Ständchen bringen sollte.

Am Ende formierten sich alle Darsteller zu einer Dankesprozession, wie sie bis heute alljährlich in Werne abgehalten wird. Foto: Anke Barbara Schwarze

Viel Lob wurde am Rande und in der Pause für die aufwendigen Kulissen und Kostüme laut. Die städtische Bühne war zur Taverne umfunktioniert worden, der Rathausbogen mittels einer Attrappe kurzerhand an die andere Seite des Kirchplatzes verlegt worden. Die Christophoruskirche spielte sich selbst, so unbeirrt wie seit fast 600 Jahren. Bei den Kostümen bewies die Requisite des „Theaters für alle“ einmal mehr viel Einfallsreichtum und Liebe zum Detail. Ein schwarzer Damenmantel wurde mittels Pelzbesatz zur Schaube, einem Überrock für Männer zur Zeit der Renaissance. Der Marktmeister sammelte die Standgebühren in einem Beutel, der verdächtig nach einer Damenhandtasche aussah. Einige Kostüme waren aus vorhergehenden Stadtspielen revitalisiert worden, andere sorgfältig neu angefertigt worden.

Am Ende formierten sich alle Darsteller zu einer Dankesprozession, wie sie bis heute alljährlich in Werne abgehalten wird. Der anhaltende Applaus des begeisterten Publikums verebbte erst, als der amtierende Bürgermeister Lothar Christ für ein paar Dankesworte um Ruhe bat. In sein großes Lob für alle Beteiligten mischte sich ein wenig Wehmut: Dieses vierte Stadtspiel wird das letzte unter der Federführung von Marita Gräve und Gottfried Forstmann sein. Das hatten beide bereits im Vorfeld bekannt gegeben.

Viele Fotos zum Stadtspiel finden Sie in unserer Bildergalerie hier.

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