Werne. Wenn ich meine Schulfreundin Nina Windisch besuchen wollte, musste ich mit dem Rad quer durch Werne fahren. Und noch ein Stück weiter auf der Landstraße in Richtung Horst. Dort lebte Ninas Familie auf einem kleinen Hof nebst Biogarten. An der Einfahrt wurden Besucher von wild schnatternden Gänsen empfangen. Vor der Tür scharrten Hühner, auf der Weide grasten die Islandponys von Nina und ihrer Schwester Katja. Das Haus werde ich immer mit Ninas Mutter in Verbindung bringen: Karin Windisch füllte es mit ihrer herzlichen, humorvollen und wärmenden Gastlichkeit.
Ich erinnere mich noch jetzt, fast 40 Jahre später, an gemütliche Teestunden, die nach Radfahrten im münsterländischen Nieselwetter sehr willkommen waren; an Lagerfeuerabende mit Stockbrot; an Geburtstagsfeiern, auf denen wir mit damals noch ungewohnten vegetarischen Köstlichkeiten vertraut gemacht wurden. Karin Windisch war stets offen für unkonventionelle Lebensweisen.
Vielleicht auch, weil der Zweite Weltkrieg und die Trennung der Eltern sie als Kind von einem Ort zum anderen verschlugen. Karin Windisch wurde am 22. Mai 1940 in Tilsit geboren. Ihr Vater Hans Gerber war Organist und Konzertpianist, ihre Mutter Margarete Just studierte Opernsängerin. Aus der zweiten Ehe der Mutter stammte Michael, der Halbbruder von Karin Windisch. Die bewies schon als Jugendliche, dass sie unternehmungslustig und unerschrocken war. Sie fuhr leidenschaftlich gern Fahrrad – auch mutterseelenallein, kreuz und quer durch Deutschland. Einmal brachte sie es auf fast 2.000 Kilometer: München–Husum und zurück.

Nach ihrem Abitur (1959) studierte sie Psychologie in München. Sie machte ihr Diplom und arbeitete 1967 als freiberufliche Mitarbeiterin in einer Studiengruppe für Politik und Kommunikationsforschung, 1968 auch am Institut für Unterrichtsmitschau der Pädagogischen Hochschule in München. Während eines Berufspraktikums lernte Karin ihren späteren Mann Werner Windisch kennen. Die beiden verband ihre gemeinsame Begeisterung für Literatur und Kreativität.
Der Beruf von Werner Windisch als Sozialarbeiter verschlug die Familie nach Nordrhein-Westfalen: nach Kerpen, nach Lünen und 1980 nach Werne in den Fachwerkkotten am Husemannsweg 7. Die Adresse ist vielen in Werne noch ein Begriff: Karin Windisch engagierte sich beim Tierschutzbund, beim NABU, in der Agenda 21 und vor allem in der Friedensinitiative Werne. Und viele Treffen der genannten Gruppen fanden auf ihrem Hof statt. Und bisweilen auch Proben der Kaktusblüten.

Karin Windisch gehörte zu den Mitbegründerinnen dieser frauenbewegten Kabarettgruppe. An die von ihr geschaffene Figur der „Resi“ werden sich viele erinnern: eine ältere Dame, die mit bayerischem Dialekt und hintergründiger Harmlosigkeit aus dem Leben plauderte. Mit stützstrumpfbewehrter Naivität gab sie Bemerkungen zum Besten, deren Sarkasmus sich oft erst im Nachhall offenbarte. Karin Windisch mimte das perfekt. Zu ihrem 70. Geburtstag im Jahr 2010 beschloss sie, die Kabarettbühne zu verlassen. Ihre Mitstreiterinnen Liane Jäger, Julia Klunkert und Irmgard Schlierkamp suchten bei einem Theater-Workshop eine Nachfolgerin. Bis heute ist Ulrike Bechatzek dabei und für ein paar Jahre stand auch ich als Kaktusblüte auf der Bühne. Bei Karins Abschiedsvorstellung waren wir sechs. Und in ihrer zugewandten und unaufgeregten Art nahm Karin mir viel von meinem Lampenfieber – sowohl bei den Proben als auch beim Auftritt.

So war Karin Windisch auch richtig am Platz, wenn sie ihre Erfahrungen bei Theaterkursen mit Schülerinnen und Schülern des Anne-Frank-Gymnasiums und an der VHS Bergkamen weitergab. 2008 kamen die Enkelkinder, denen sie sich mit ganzem Herzen widmete: Ninas Tocher Linnea und Katjas Sohn Ramin. Die Enkel gaben Karin Halt, nachdem ihr Mann Werner verstorben war. „Kinder lagen ihr am Herzen, ihnen gab sie Wurzeln, Liebe und Fürsorge“, sagte Gabriele Peisker.
Als langjährige Freundin und Weggefährtin hielt sie die Trauerrede, als Karin Windisch am 1. März 2024 in Werne beigesetzt wurde. Nach langer Krankheit war sie am 6. Januar 2024 gestorben. Auch Nina Windisch und die Kaktusblüten erinnerten sich in bewegenden Worten an ihre Mutter und Mitspielerin.