Sonntag, Dezember 1, 2024

Pogromnacht 9. November 1938: Vielfältiges Gedenken in Werne

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Werne. Die Gedenkfeier mit Bürgermeister Lothar Christ an Stelle der ehemaligen Synagoge in der Marktpassage, die Wanderausstellung „Jüdisches Leben sichtbar machen“ im Stadtmuseum sowie der Vortrag „Kritik ja, Antisemitismus nein“ der Historikerin und Journalistin Dr. Anke Barbara Schwarze in der Buchhandlung Beckmann waren in Werne am Jahrestag der Reichspogromnacht vom 9. November Ausdruck eines vielschichtigen Erinnerns an eine der dunkelsten Stunden der deutsche Geschichte.

Brennende Synagogen, Gewaltausbrüche gegen Menschen jüdischen Glaubens, Zerstörung, Folter, Qual, in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 brach sich all dies Bahn, wurde das Tor zu grenzenlosem Judenhass in Deutschland endgültig durchschritten.

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In Gedenken an die Pogromnacht hatten sich am Samstagnachmittag wiederum zahlreiche Werner Bürger/innen eingefunden, wie Bürgermeister Lothar Christ registrierte und sich besonders über viele junge Teilnehmende freute. So nahmen die Klasse 9c und die WEREmenber AG des Anne-Frank-Gymnasiums an der Veranstaltung teil.

Erinnerungskultur: Gedenken und Trauern als Mahnung

In seiner Ansprache widmete sich Christ dem Thema „Erinnerungskultur“. Doch „sich erinnern“ könne nur jemand, der etwas selbst oder zusammen mit anderen erlebt beziehungsweise miterlebt habe. Berichte aus dem eigenen Erleben und Erinnern über die damaligen Schreckenstaten hätten bis dato häufig Zeitzeugen vermittelt.

„Mit jedem Jahr das verstreicht, mit jedem Zeitzeugen, der von uns geht, wird auch der emotionale Abstand zur Reichspogromnacht größer. Und so wird das Erinnern mehr und mehr unauthentisch. Ein weiteres kommt hinzu: Das Gedenken und Trauern soll gleichzeitig Mahnung für die heutige und nachfolgende Generationen sein mit dem Ziel, eine Wiederholung der Verbrechen zu verhindern“, so der Bürgermeister.

Auch wenn man sich in Werne in vielfältiger Form (Gedenkfeiern, Erinnerungstafeln, Stolpersteine Ausstellungen und Zeitzeugenberichten) dürfe man sich nicht damit begnügen, richtete Christ den Blick auf Antisemitismus in der Gegenwart. „Wenn jüdische Eltern sich veranlasst sehen, ihre bedrängten Kinder auf Privatschulen zu schicken, wenn jüdische Männer Angst haben, in der Öffentlichkeit die Kippa zu tragen (…) – beginnend schon unmittelbar nach dem Hamas-Angriff das 7. Oktober 2023 – auf deutschen Straßen den Angriff feiern, (…) dann ist dies unerträglich“.

Ausstellung „Jüdisches Leben sichtbar machen“ im Stadtmuseum

Im Anschluss an die Gedenkfeier zur Pogromnacht wechselten viele der Teilnehmenden in die Westfälische Stube des Stadtmuseums, wo sie Museumsleiter Flemming Feß empfing. Hier gab der frühere Archivar des Kreises Unna, Josef Börste, einen Überblick über das Leben jüdischer Menschen in Werne. Er berichtete, wie diese sich in der Stadtgesellschaft assimilierten und in der Weimarer Republik in vielen Bereichen wie etwa Vereinen akzeptiert waren.

Mit der Machtergreifung habe sich dies geändert, schilderte Börste die folgende Ausgrenzung und Diskriminierung jüdischer Mitbürger/innen und schließlich die Geschehnisse in der Pogromnacht, die sich in Werne mit brachialer Gewalt und schweren Ausschreitungen der örtlichen SS gezeigt habe.

Josef Börste gab den Besucher/innen der Ausstellung „Jüdisches Leben sichtbar machen“ einen kurzen Überblick über das Leben jüdischen Menschen in Werne.

Dr. Anke Barbara Schwarze: „Kritik ja, Antisemitismus nein“

„Jede israelische Regierung ist genauso zu kritisieren wie eine deutsche oder französische“, leitete Dr. Anke Barbara Schwarze ihren Vortrag in der Buchhandlung Beckmann mit einem Zitat von Michel Friedman (Judenhass) ein. Dort blieb kein Stuhl unbesetzt, denn das Angebot der Referentin stieß auf viel Interesse. In der Folge arbeitete sie anhand vieler Quellen eine häufig zu beobachtende „Gleichsetzung von Israel und Juden“ heraus und fragte: „Wie sprechen wir über Israel? Wer spricht? Wann sprechen wir? Wann sprechen wir nicht?“

Auf viel Interesse stieß der Vortrag von Dr. Anke Barbara Schwarze beim Publikum in der Buchhandlung von Hubertus Waterhues.

„Eigentlich“, so Schwarze: „hätte ich nach dem 7. Oktober 2023 eine Welle von Mitgefühl erwartet“. Stattdessen beobachtete sie ein Ungleichgewicht in den Reaktionen auf den Terroranschlag der Hamas und stellte in einer Momentaufnahme die unterschiedliche Beteiligung an einer Mahnwache für Charlie Hebdo mit 18.000 Teilnehmenden vor dem Brandenburger Tor (Tagesspiegel) und einen Tag nach dem Hamas-Massaker an einer Demonstration zur Solidarität mit Israel mit rund 2.000 Teilnehmenden gegenüber (rbb24 Abendschau). „Wo seid ihr?“, fragt Michel Friedman.

Vom 7. Oktober bis 9. November 2023 hätten sich beispielsweise 994 antisemitische Vorfälle allein in Berlin ereignet, zitierte Schwarze bedrückende Zahlen aus der Quelle: RIAS – report-antisemitism.de.

Dr. Anke Schwarze schloss ihren Vortrag mit den Worten „Nie wieder ist jetzt!“

Wie lange müssen wir noch über die Juden sprechen? Sollen wir einen Schlussstrich unter unser Schuldbewusstsein wegen der Shoa ziehen, fragte die Referentin und hörte ein vielstimmiges „Nein“ aus dem Publikum. „Nie wieder ist jetzt“, schloss sie.

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