Werne. Als Rainer Kamp am Sonntagabend (30.06.2024) in der fast ausverkauften Martin-Luther-Kirche den Einsatz gab, geschah das zum letzten Mal. Mit dem Christophorus-Oratorium von Michael Lippert verabschiedete sich der Chorleiter vom Motettenkreis Werne.
Das Oratorium hatte er sich persönlich für diesen Anlass ausgesucht. „Mich reizt die Verbindung zu Gerhard Tersteegens Mystik“, erklärte Kamp. Eine leidenschaftliche und innige Gottesbeziehung prägen die Texte des protestantischen Liederdichters aus dem 18. Jahrhundert. Sein wohl bekanntestes Lied „Gott ist gegenwärtig“ steht sowohl im Evangelischen Gesangbuch als auch im katholischen Gotteslob und klingt in Lipperts modernem Oratorium immer wieder an.
Wuchtige Orgelpassagen, geheimnisvolle Chorgesänge und eine markante Erzählstimme kontrastieren in diesem Werk des Bayreuther Kirchenmusikers. Kamp verschärfte die Gegensätze, indem er das Programm mit zwei Motetten von Heinrich Schütz umrahmte. „Motetten passen nun einmal zum Motettenkreis wie Christophorus zu Werne“, sagte er. Außerdem bilde die Polyphonie, also die Vielstimmigkeit in den Werken von Schütz einen weiteren Gegensatz zu der gradlinigen Kompositionsweise von Lippert. „Trotzdem besteht inhaltlich eine enge Verbindung, denn Schütz und Lippert wollen ähnliche Botschaften verkünden.“ Gott suchen, Gottes Nähe erfahren, Gott vertrauen sind die zentralen Themen.
Nachdem die verschlungenen Melodien der Schütz-Motette „Herr, auf dich traue ich“ verklungen war, schritten die Sängerinnen und Sänger des Motettenkreises vom Altarraum auf die Orgelempore. Kurz darauf stapften schwere Orgelklänge herab, türmten sich Akkorde in entschlossenem Rhythmus auf, brauste ein stürmisches Forte. Dann schwang die Stimme von Pfarrer Alexander Meese durch das Gotteshaus. Sie beschrieb, was Larissa Neufeld an der Orgel ausgemalt hatte: „Dort, wo einst Noahs Arche stand, am Berg Ararat, wurde Christophorus geboren.“ Der Chor setzte ein: schönläufiger, lichter Soprangesang auf festgefügten Männerstimmen – wie die Engel, die den Gipfel des Ararat umschweben.
Im Folgenden breitete die Orgel ein cineastisches Panorama aus. Neufeld skizzierte Schlösser mit triumphierenden Fanfaren, ließ Christophorus munter einherschreiten und das Stimmenwirrwarr eines orientalischen Marktes aufblitzen. Mit der gebotenen Zurückhaltung und Andacht interpretierte der Chor den Christophorus-Choral. Als meditatives Leitmotiv durchzieht dieser das gesamte Werk. Mal erschien er wie eine innere Stimme, die ermutigt, mahnt, motiviert; mal als Ruf eines rätselhaften Fiedlers, der Christophorus an entscheidenden Lebensstationen in unterschiedlicher Gestalt begegnet. Ungewissheiten hielt der Motettenkreis spannungsvoll in der Schwebe. Als teuflische Heerschar zog er ganz andere Saiten auf: geiferte und piesackte mit Rhythmen, die an einen apokalyptischen Teufelsritt gemahnten.
Gänsehautgefühle bescherte jener Moment, in dem Christophorus im Schlaf die Rufe des Jesuskindes vernimmt. Annika van Dyk intonierte als Solo-Sopran mit einer Klarheit, die das Überirdische glaubhaft machte, getragen von durchsichtigem Chorgesang und flirrender Orgel. Es war, als wehe von Ferne das Schellengeläut einer Eucharistiefeier einher.
Rainer Kamp, der als Kirchenmusiker in Hamm-Herringen tätig bleiben wird, hat bereits mehrere Werke von Lippert in Westfalen aufgeführt, darunter den musikalischen Kreuzweg „Golgatha“ mit dem Motettenkreis. Dessen Leitung hatte Kamp 2015 übernommen. Er erweiterte das Repertoire des Chores um Werke wie Mendelssohns „Lobgesang“, das „Stabat Mater“ von Dvořák, die „Johannespassion“ von Bach oder die „Messa di Gloria“ von Puccini.
Bei Werken, die einen sehr großen Chor erforderten, profitierte der Motettenkreis von der harmonischen Zusammenarbeit mit dem Kirchenchor St. Victor aus Herringen. „Die Gestaltung der musikalischen Gottesdienste lag Rainer Kamp sehr am Herzen“, heißt es in einer Presseerklärung, mit der der Motettenkreises seinen Chorleiter zum Abschied würdigt. Im Gedenken an den Zweiten Weltkrieg habe er die Komposition „Wie liegt die Stadt so wüst“ von Rudolf Mauersberger aufgeführt. „Damit schuf er einen aktuellen Bezug, wie er eindrucksvoller kaum hätte sein können.“
Auch wenn Kamp nun in Werne in den Ruhestand geht, „hat er dort Spuren hinterlassen, die Chorsängern und Konzertbesuchern dankbar Erinnerung bleiben werden“, so der Motettenkreis. Als Organisten wird man ihn in Herringen weiter hören können.