Werne. Von Trauer zu Trost: Mit einer Reihe besonderer Orgelkonzerte gestaltet die Stiftung Musica Sacra Westfalica in diesem Jahr das Herzstück christlicher Liturgie, den Osterfestkreis. Das musikalische Spiel dreht sich um die Kunst der Improvisation, die aus dem Moment heraus entsteht.
„Ich hoffe, dass ich einen Moment erwische, in dem ich frei bin und nicht viel nachdenke“, sagte Otto Maria Krämer vor Beginn seines Konzertprogramms. Der Kantor aus Straelen und Dozent für Orgelimprovisation an der Musikhochschule Köln gestaltete am Sonntag (1. Juni 2025) das dritte Konzert der Reihe in St. Christophorus.
Krämer widmete sich jenen neun Tagen zwischen Himmelfahrt und Pfingsten, die als Zeit der Sammlung und Erwartung gelten. Und das „Ohne Noten, aber mit Stil“. Und tatsächlich: Mit stilistischer Sicherheit und einer Vorliebe für ausdrucksstarke Kontraste schuf er ein Programm, das zwischen barocker Pracht, französischer Opulenz und meditativem Minimalismus pendelte – mit bisweilen überraschenden Wendungen und Momenten des Loslassens. In einem Präludium und einer Fuge im barocken Stil orientierte sich Krämer an der musikalischen Sprache Johann Sebastian Bachs. Die Melodie rankte sich empor wie der Blick an den prächtigen Verzierungen einer barocken Kirche. Klangschön und prägnant verwob der Organist die melodischen Fäden der Fuge, verlieh ihr eine strahlende Erhabenheit, die sich zum voluminösen Finale steigerte – um dann einer Klangminiatur Platz zu machen.
Denn „La Folia“, ein seit dem 15. Jahrhundert europaweit überlieferten Variationsmodell, intonierte Krämer schlank. Da erklang ein gradliniges Schreitmotiv, dezent untermalt, emotional aufgeraut durch kleine, gezielte Disharmonien. Es folgte lyrische Lautmalerei: wogende Wellenbewegungen, tropfende Töne. Ein schalmeiähnliches Register wie aus der Renaissance erinnerte an die Entstehungszeit von „La Folia“ sowie an einen Musiker jener Zeit, den Krämer zum Vorbild für seine Variationen gewählt hatte – die anmutigen, emotionalen Spielweise des vor 400 Jahren verstorbenen Engländers Orlando Gibbons. „Diese Folia, das ist wie früher Jazz“, sagt Krämer über das traditionsreiche Thema.
Mit der „Suite française classique“ über den Choral „Komm, Schöpfer Geist“ (GL 351) wechselte der Kirchenmusiker erneut Land und Epoche. Mit mächtigem Forte umspielte er die Melodie des Kirchenliedes, beschwor eine Atmosphäre, als wollten Glaubende auf die Knie fallen. Die klangliche Gestaltung der Sätze entsprachen unterschiedlichen Registrierungen. So konfrontierte Krämer in „Basse et dessus de trompette“ die durchdringende Strahlkraft von Trompeten mit sonoren Basslinien, bis ein satter Schlussakkord die Spannung löste.
Im Terzregister floss die Musik in ruhigere Gewässer – eine wohltuende Mittellage, aus der heraus der Satz „Flutes“ wiederum die Schlichtheit des Kirchenliedes aufgriff. Krämer lotete dynamische Bandbreiten aus: von zarten, wie aus der Ferne hallenden Flötentönen bis hin zu warmem ezzoforte. Umso stärker beeindruckte der finale Satz dieses Improvisationszyklus. Das „Grands jeux dialogues“ explodierte förmlich in raumsprengender Klangpracht.
Das Gegenstück zur französischen Suite bildete eine Partita im deutschen Barockstil – diesmal über den Choral „Heiliger Geist, o Tröster mein“ (GL 786). Innigkeit prägte das Thema, das Krämer durch verschiedene Stimmlagen führt, bis sich die final einsetzende „Fantasia pro organo pleno“ in freudiger Erregung überschlug. Dagegen baute sich die Minimal Music über „Komm Heil’ger Geist mit deiner Kraft“ (GL 788) als langsames Crescendo über einem stetigen, meditativen Melodiefluss auf, verstärkt durch Register, die wie Glockenschläge wirken: gleichmäßig und eindringlich. An den Schluss seines Programms setzte Krämer eine weitere Hommage, dieses Mal mit einer Suite für Maurice Ravel zu dessen 150. Geburtstag. Mit impressionistischer Tonalität
brachte der Organist seine dramaturgische Kraft noch einmal auf den Punkt.
INFO
Das Ensemble Twenty Two, bestehend aus ehemaligen Sängern des Dresdner Kreuzchores, tritt am Donnerstag, 4. September 2025, ab 19 Uhr erneut in der St. Christophorus-Kirche in Werne auf.