Werne. „Einmal hat er es mir gestattet: Licht aus – Spot an!“ Damit kündigte Hubertus Waterhues den Schauspieler und Schriftsteller Ilja Richter an. Und der begann sofort mit einem Chanson. Aber um eine Reminiszenz an seine einstige Erfolgssendung „Disco“ drehte sich der Freitagabend im Capitol-Cinema-Center Werne gar nicht. Vor mehr als 100 Zuschauerinnen und Zuschauern las Richter aus seinem neuen Buch „Lieber Gott als nochmal Jesus“.
Obwohl – eine Lesung im althergebrachten Sinne war es nicht. Dafür ist Ilja Richter zu sehr Schauspieler, zu sehr Multitalent. Er spielte, er parodierte, er sinnierte, er sang. Die schillernde Vorstellung passte zu seinem Buch. So wie Richter zwischen seinen jüdischen und seinen protestantischen Wurzeln oszilliert, so schwingen die Texte zwischen Dialogen, Glossen, Sketchen, Zitaten und Erzählungen.
Eine Mischung, die Hubertus Waterhues sofort begeisterte. „Ich bekam vor einiger Zeit ein Päckchen, darin befand sich ein Leseexemplar.“ Mitten im laufenden Betrieb seiner Buchhandlung zog sich Waterhues mit dem Buch in sein Büro zurück. Er habe keine zehn Minuten darin gelesen, da rief er bereits den Verleger an und bat um eine Lesung mit Ilja Richter.

Der bezog den Buchhändler umgehend in seine Vorstellung ein und übertrug Waterhues die Sprechrolle des Verlegers. Denn zu einem Kniff des Buches gehört es, in Diskussionen mit Verleger und anderen Personen den Titel aus einer übergeordneten Sichtweise zu sezieren. „Das mag ich an den Juden“, sagte Richters Buch-Ich beispielsweise. „Sie glauben an Gott, aber nicht an Jesus.“ Sein Diskussionspartner konterte trocken: „Das hast du mit Jesus gemeinsam, der glaubte auch nur an Gott.“
Zur Verteidigung von Jesus zog Richter die Gattin des Pontius Pilatus heran, die Legenden „Claudia Procula“ tauften. Im eleganten anthrazitfarbenen Zwirn, klassisch kombiniert mit dunkler Weste und weißem Hemd, schlüpfte der Autor in die Frauenrolle. Er klapperte mit den Wimpern, fistelte moderat – „Ich nannte ihn immer Ponti“ –, zog ein Schnütchen und ließ sich augenrollend über „Pontis“ Immobilienschwindel und seinen Griff in die Tempelkasse aus.

Seine Erzählung „Zwischen Kreuz und Davidstern“ fabulierte er im gequetschten Sprechduktus à la Reich-Ranicki. Für ein darin beschriebenes Kinoerlebnis parodierte er Charlie Chaplins Slapstick und spottete schwarzhumorig über Goebbels: „Der hatte bereits einen jüdischen Schneider für einen Frack zerschlissen. Der Frack überlebte.“ Die in der Erzählung erfundene Verwandtschaft stellt Richters Versuch dar, sich zwischen zwei Religionen biografisch zu verorten. In der Realität ist das schwierig für ihn. „Das ist die typische Trauer der Nachgeborenen: Sie trauern ihr Leben lang über die, die sie nicht gekannt haben“, sagte er über seine Großeltern – plötzlich mit leiser, sehr ernster Stimme.
Nie ließ Richter die Stimmung kippen, immer wusste das Publikum, woran es mit ihm war. Auch bei dem Chanson „Ich fühl’ mich nicht zu Hause“ des jüdischen Komponisten Georg Kreisler. Richter zog hier alle darstellerischen Register, bis hin zum jiddischen Akzent – und ließ doch keinen Zweifel an der Tragik des heimatlosen Juden. Und wie jeder wirklich gute Komiker wusste er, wann er sich selbst auf die Schippe zu nehmen hatte. Etwa, wenn es um sein markantestes Merkmal ging: „Egal was ich vortrage – die lebende Stimme siegt immer.“ Und fügte mit einem verschmitzten Seitenblick hinzu: „Wie damals in der Disco.“