Werne. Schwungvoll, fast übermütig türmen sich die Klangmassen in der Chorfuge des Gloria auf. Verstohlen stupsen sich zwei Zuhörer in der Martin-Luther-Kirche an. Ganz sacht schunkeln sie in den Schultern. Gioachino Rossini hätte es wahrscheinlich gefreut.
Denn seine „Petite Messe solennelle“ schillert zwischen Humor, Dramatik und Glaubensüberzeugung. Das eine wie das andere gehörte zum Wesen des italienischen Komponisten. Unter der Leitung von Annette Drengk meisterten der Motettenkreis Werne und vier Solisten den Balanceakt zwischen sakraler Inbrunst, opernhaftem Erzählstil und verschmitzten Einwürfen.
Das Sahnehäubchen war die instrumentale Begleitung: Rossini hatte die Messe für Klavier und Harmonium komponiert, bedingt durch die beengten Umstände der Uraufführung in einer kleinen Privatkapelle. Den Klavierpart übernahm Christian Drengk; anstelle des Harmoniums bereicherte Andrea Knefelkamp-West den Part durch die farbenfrohe Registrierung ihres Konzertakkordeons.

Rossini lotete in seiner Messvertonung die dramatischen Effekte des lateinischen Textes aus. Wie in einer Oper wechseln Arien, Duette und Chorpassagen einander ab. Knackige Klavierrhythmen kontrastierten im Kyrie mit einem Crescendo, das die Chorsängerinnen und -sänger spannungsreich aufblühen ließen. Stimmig gelang der Wechsel zum getragenen liedhaften Part des „Christe eleison“. Die extreme Dynamik des Stücks brachte der Motettenkreis wirkungsvoll und mit der gebotenen Ausdrucksstärke zur Geltung. Wie ein Ausrufezeichen setzten die Sopranstimmen das erste Gloria – eine klare Folie für die feierliche Bassarie „Et in terra“. Dann wieder waren unverfälschte A-cappella-Passagen gefragt, etwa zum Ende des Glorias, bevor Motettenkreis und Zuhörer im temporeichen „Amen“ schwelgen durften.

Achtsam und präzis agierten Chor und Instrumentalisten im Wechsel mit Solisten. Etwa bei dem von Rossini bühnenwirksam komponierten „Crucifixus“ im Glaubensbekenntnis. Aufwühlende Chorsätze verwoben sich mit dem Solo-Sopran. Helena Bickel intonierte innig und mitfühlend, untermalt von der balladesken Klage des Akkordeons und pointierten Rhythmen des Klaviers. Dem Motettenkreis gehörte dann der Gänsehautmoment der Auferstehung, gefeiert im gebührenden Forte.
Dem opernhaften Charakter der Messe entsprechend überzeugten die Solisten mit unterschiedlichen Persönlichkeiten. Da war der prägnante Bass von Johannes Schwarz, mal mit raumfüllender Nachdrücklichkeit, mal mit aufwühlendem Vibrato. Ein reizvoller Gegensatz zum fließend geführten Belcanto von Andreas Post. Der Tenor war kurzfristig für den im Programm angekündigten, aber verhinderten Robin Grunwald eingesprungen. Bickel: schlank und sensibel im „O salutaris hostia“, im Duett mit der Altistin Dagmar Linde wie silbrige Tupfer auf Samt klingend. Linde wiederum verlieh ihrem Part im „Agnus Dei“ die passende trostreiche Tonlage.
Links und rechts vor dem Chorraum der Kirche postiert rahmten Klavier und Akkordeon die Singenden ein – Christian Drengk mit klaren Anschlägen, Andrea Knefelkamp-West mit untertonreichem Klang. Knefelkamp-West übernahm außerdem den Instrumentalpart des Offertoriums als Solo. Die orgelhafte Anmutung ihres Konzertakkordeons betonte den sakralen Moment dieses Satzes, der dem liturgischen Gesang während der Gabenbereitung nachempfunden ist. Im Wechselspiel mit zarten Tönen und voluminösen Akkordeon interpretierte Knefelkamp-West eine suchende, aufwühlende Stimmung – eine Brücke zwischen dem effektvollen Credo und dem schlankeren Sanctus.

Rossinis Humor mag es geschuldet sein, dass seine Messe weniger enorm endet, als sie zwischendurch klingt. Der Chor schwang sich zur Friedensbitte im Agnus Dei auf – dann beschlossen zwei Akkorde der Instrumentalisten schlichtweg das dramatische Geschehen. Die Zuhörer klatschten, was das Zeug hielt, um eine Zugabe. Doch Annette Drengk winkte ab: Rossinis Messe sei nichts mehr hinzuzufügen. Eine kluge Entscheidung. Das dürften auch die ein oder anderen Menschen im Publikum gedacht haben, die sich ein Tränchen aus dem Auge wischten.