Montag, Mai 13, 2024

Sage vom Geschehen an Heiligabend: Der versunkene Kohueshof

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Werne. Wie die Gottlosigkeit und Brutalität eines Werner Bauern auf gespenstische Art bestraft wurde. Eine uralte Sage erzählt das unglaubliche Geschehen einer Heiligen Nacht in der Bauernschaft.

Die nachfolgende Weihnachtssage stand um 1935 in der „Werner Volkszeitung“. Sie stammt aus dem Nachlass von Alfons Berke aus Langern, der diese Version der Sage wahrscheinlich auch verfasst hat. Unser freier Mitarbeiter Rainer Schulz hat sie vom inzwischen verstorbenen Kapuzinerpater Pius Hegemann, einem Jugendfreund Berkes, vor etwa 40 Jahren für sein privates Archiv erhalten. Seit 1997, damals hatte Schulz die Geschichte in seinen Unterlagen wiederentdeckt, geht er an jedem Heiligabend vor der Bescherung mit der Familie seiner Tochter ins Kohuesholz und auch an der Stelle vorbei, wo der Hof nach Erzählungen von Geschichtskennern gelegen haben soll.

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„Wir nehmen dann immer einen kleinen Weihnachtszweig aus dem Kohuesholz mit nach Hause, ohne den unser festlich gedeckter Weihnachtstisch nicht komplett wäre“, erzählt Rainer Schulz und fährt fort: „Wie folgt wurde die Geschichte von mir zu Weihnachten 2007 – mit nur geringen begrifflichen Änderungen – erneut veröffentlicht“:

„Heute noch, wenn die Leute im Dunkel des Abends über den Voßpatt gehen, berührt sie ein Schauer, der zwischen den Bäumen weht und sich hinter dem dichten und düsteren Strauchwerk verborgen hält. Kohuesholz ist dann still und stumm, und alles, was hier lebt und webt, ist seltsam scheu und flüchtig. In den Heiligen Zwölfnächten* aber rumort und rauscht es in den alten Bäumen, in Strauch und Strupp, dass alles sich seltsam hastig bewegt, und die Tauben ducken sich lautlos und ängstlich harrend auf die leeren flachen Nester. Die Bauern aber schließen Tür und Fenster und sitzen schweigend um das schwelende Feuer.

Kaum getraut man sich auf den Hof und in den Stall hinaus, beileibe aber nicht ins Holz; denn man hat erzählen hören: Einer, der in nächtlicher Stunde seinen Weg durchs Holz daher ging, sei von einem durch unsichtbare Hand geschleuderten Aste getroffen und zu Boden geworfen worden, so dass er nächtens im Dunkel und ohne priesterlichen Beistand sein Leben verbüßen musste. Und noch heute kann man, wenn man des späten Abends am knisternden Herdfeuer sitzt und die Ohren dazu wach hält, deutlich vernehmen, wie eine Stimme übermenschlicher Art draußen im Winde immerzu ruft und ruft: „Oh Wunner, oh Wunner, watt ligg dao woul unner?“*, und die es noch wissen, denken dann, dass die Windesstimme das Kohuesholz meint, den tiefen und dunklen alten Wald nicht weit von dem altersgrauen Schloss Cappenberg, das aus seinen gespenstischen nächtlichen Mauern nur ab und zu ein Lichtlein in die Dunkelheit der Zwölfnächte hinausscheinen lässt.

An dieser Stelle soll der Hof nach Erzählungen von Geschichtskennern gelegen haben. Foto: Rainer Schulz

So aber geht die Sage: An der Stelle, wo heute der Wald des Kohuesholz steht, waren einst weite Ackerbreiten voll guter Saat und Ernte, saftige Weiden und Wiesen, auf denen gesundes Vieh in Menge ging und weidete. Und inmitten all des Reichtums lag der Hof des Kohuesbauern. Blitzblank waren Stube und Stall und die schweren Balken trugen manch Reichtum in ihren Kammern; alles war bereitet zu einem glücklichen Leben. Dennoch aber gewahrte man niemals ein freundliches Lachen bei Knecht oder Magd, bei Bauern oder Bäuerin, bei Vater oder Kind. Nie erklang ein fröhlich Lied oder ein liebes Wort. Alles Gesinde auf dem Kohueshofe tat mit Scheu sein Werk. Und selbst die Hunde gingen geduckt an den Mauern vorbei; alle Nächte aber begannen sie so markerschütternd zu heulen, dass weithin Bauern und Kötter und alle christlichen Leute erschauerten.

Mehr aber noch drang der kalte Schauer in sie, wenn es am Kohueshofe still und stumm war in der Nacht; denn dann ging der Bauer auf dem Hofe umher, und sogar die Hunde verkrochen sich dann in den Hütten, da sie seine Peitsche fürchteten. Auch am Tage war jedes Mal, wenn der Bauer über den Hof kam, alles wie ausgestorben: Die Knechte sahen bei ihrer Arbeit unter den Schultern her und beobachteten ihn, woher er kam und wohin er ging. Und die Mägde huschten schnell in den Stall oder auf Kammer und Tenne und machten sich dort zu schaffen, wo der Bauer nicht war. Traf aber einer unversehens mit ihm zusammen, so hatte er immer ein schimpfliches Wort bereit und einen schrecklichen Fluch, so dass der ganze Hof sich bekreuzigte und alle sich verbargen. Dann aber geriet der Kohuesbauer in eine entsetzliche Wut, so dass er mit der Peitsche das ganze Haus vom Dach bis zur Tenne durchsuchte und schlug, wer sich verborgen hatte. Und sicherlich wären längst alle Knechte und Mägde fortgelaufen, wenn nicht der Bauer des Geldes zuviel gehabt und reichlich in blinkender Münze gelohnt hätte.

Zur Christnacht, wenn weit und breit alles Gesinde einen Feiertag hatte, um in der Cappenberger Klosterkirche der Mette beizuwohnen, begann alle Jahre auf dem Kohueshofe ein wildes Leben; denn verruchter und sonntagsschänderischerweise hatte der Bauer sich diesen Tag für das Dreschen seines Korns vorbehalten. Dann trieb er alles Gesinde auf den Hof und stand selbst mit der Peitsche dabei, und jeder gute und schlechte Handgriff, den einer tat, wurde mit Fußtritten, Peitschenhieben und wilden Flüchen entweiht. Schon oftmals waren die Herren Patres aus dem Kloster Werne gekommen, um des Bauern Herz umzustimmen; aber mit Peitsche und Hunden hatte er sie vom Hofe gewiesen, dass sie durch die Wälder eilends zurückliefen und sich so oft bekreuzten, als sie sein wildes Fluchen noch hören konnten.

In einem Jahre aber zog wieder die Christnacht ins Land. Eine wunderbare Räuhe hatte sich auf die Erde gebreitet, und durch die Fenster der kleinen Häuschen sah man traulich den Weihnachtsbaum schimmern. Andächtig und besonnen stiegen von allen Seiten die Leute zum Kloster hinauf, um die heilige Christnacht zu feiern. Die aber über die Straße kamen, die von Werne nach Selm führt, leitete der Weg dicht am Kohueshofe vorbei. Vom Klosterkirchlein rief lieblich und leise das Turmglöckchen in die stille Nacht hinaus. Vom Kohueshofe aber hörte man wiederum das Schlagen der Dreschflegel, das Heulen der Hunde und das wilde Fluchen und Toben des Bauern; ja, jedes Mal wenn ein leiser und leichter Windstoß den mahnenden Ruf des alten Klosterglöckleins herüberwehte, begann der Bauer umso stärker zu toben und umso lauter zu fluchen und zu schimpfen, und nicht selten war unter seinen Worten gar eine erschreckliche Gotteslästerung zu vernehmen. Und die nächtlichen Kirchgänger schlugen ein Kreuz und eilten raschen Fußes weiter zur Mette.

Und als die feierliche Stunde beendet, kehrten sie zurück in ihre trauliche Wohnung unter den Weihnachtsbaum. Doch als sie in die Nähe des Hofes kamen, erschauerten sie und schlugen ihre Mäntel auf, um nicht das gotteslästerliche Tun und Fluchen auf dem Hofe zu vernehmen. Nicht wenig erstaunt aber waren sie, als sie keinen Laut mehr vernahmen. Und schon glaubten sie, dass es dem Mönch aus Werne bei einem letzten Versuch heute gelungen sei, des Bauern Herz zu erweichen, und wollten gar schon dem Herrgott ein Dankgebet sagen für die Bekehrung des ruchlosen Sünders. Und sie gingen in der dunklen Stille auf den Hof zu. Da sie aber dorthin kamen, fanden sie keinen Hof mehr und kein Haus, keinen Stall und keine Stube, keinen Knecht und keine Magd, keinen Herd und keinen Hund, keine Kuh und kein Kind, nicht einmal einen Stock oder einen Stein.

Mit all seinem Gefach und Gemäuer und all seinem Gesinde war der Kohueshof in der Erde versunken. Nur an wenigen Stellen noch sah man leichte Hügel, unter denen man noch die Firste der Gebäude zu erkennen vermeinte. Im Grase und der frischen Krume aber sah man schon weit und breit wild und wulstig Strauch und Strupp und zahlreiche Bäume sprießen.

Dann begann es plötzlich in den Bäumen zu heulen und zu jaulen. Und man vernahm deutlich, wie ein mächtiges Brausen immerzu rief „Oh Wunner, oh Wunner, watt ligg dao woul unner ?“* Da machten sich die Leute rasch auf und davon, eilten nach Hause und setzten sich an den Herd um sich zu wärmen, Fenster und Türe aber verschlossen sie dicht und fest, saßen still und schweigend und lauschten auf die Windesstimme in der Nacht, die ohne Unterlaß rief: „Kooohuuues, Kooohuuues . . .“.

Und seitdem ging man nur mit Scheu durch den Wald, der dort wuchs. Der aber wuchs immer höher und dichter. Und wenn man abendlich durch ihn gehen muss und aufmerksam ist, so gewahrt man, wie alle Lebewesen hier seltsam scheu und flüchtig sind und wie der Wald so still und stumm ist. Nur in den Zwölfnächten, da rumort und rauscht es in den alten Bäumen, in Strauch und Strupp, dass alles sich seltsam heftig bewegt, und die Tauben ducken sich lautlos und ängstlich harrend auf ihre Nester. Der Wald aber, welcher an jener Stelle wuchs, heißt heute
noch: Kohuesholz.

Einige Erläuterungen zu der Sage

Zunächst zum Wahrheitsgehalt: Sagen haben irgendwie immer eine wahre Begebenheit als Grundlage, die im Laufe der Jahrhunderte durch weitere Ausschmückungen zur Sage wird. In diesem Fall hat es tatsächlich vor vielen Jahren einen Bauern namens Kohues gegeben – das ist aktenkundig. Der Hof des Kohuesbauern soll an der Verlängerung des heutigen Weges „Kohuesholz“, der in Varnhövel von der Selmer Straße links abgeht und in einen Wald, das „Kohuesholz“, führt, gelegen haben. Im Wald erreicht man nach ungefähr 150 bis 200 Schritten eine Stelle, an der linkerhand ein Hof gelegen haben muss.

Geht man etwas tiefer in den Wald hinein, so kann das geübte Auge hier zumindest noch die Umrisse einer Gräfte, wie sie in früheren Jahrhunderten zu vielen größeren Anwesen gehörte, erkennen.

Mit „Voßpatt“ ist wahrscheinlich die frühere volkstümliche Bezeichnung des Weges durch das heutige Kohuesholz gemeint.

Die „Heiligen Zwölfnächte“ (die Zwölften, Rauhnächte, Duodecim noctes), das sind die Nächte zwischen dem 25. Dezember und 6. Januar, eine heilige, festliche und bei fast allen Völkern und in allen Religionen, namentlich bei den Germanischen Völkern, bedeutsame Zeit, weil damit die Wintersonnenwende eintrat und das erneute Leben und Wirken der Naturkräfte begann. Das heutige Kohuesholz wurde ursprünglich „Kohues Holt“ genannt. Daraus wurde im Laufe der Zeit „Kohuesholz“.

* Oh Wunder, oh Wunder, was liegt wohl darunter? / Eine zweite Version der Sage stellt die Begebenheiten in einem anderen Licht dar. Wir werden sie zur gegebener Zeit ebenfalls wieder veröffentlichen.

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