Werne. Ein ganz besonderes Zeichen gegen das Vergessen haben Schülerinnen und Schüler des Anne-Frank-Gymnasiums Werne gesetzt. Anlässlich des jährlich wiederkehrenden Holocaust-Gedenktages am 27. Januar haben sie die Patenschaft über die Grabstätten auf dem sogenannten „Russischen Friedhof“ übernommen.
In einer feierlichen Gedenkveranstaltung im Bürgersaal des Alten Rathauses überreichte Bürgermeister Lothar Christ am Donnerstag die Urkunde an Schulleiter Marcel Damberg und die Jugendlichen, die mit ihrer Initiative so „einen wichtigen Beitrag für eine zeitgemäße Erinnerungs- und Gedenkkultur“ leisten. „Erinnerung ist Wachsamkeit für die Zukunft“, heißt es in der Urkunde.
Besiegelt ist die Patenschaft mit den Unterschriften von Bürgermeister und Schulleiter, tragen und gestalten wollen sie die Jugendlichen, begleitet von ihren Lehrkräften, selbst. So wollen sie die Stadt Werne bei der historischen Aufarbeitung unterstützen, das würdige Aussehen der Anlage im Blick behalten und sich an Veranstaltungen vornehmlich am „Tag des Gedenkens der Holocaustopfer“ beteiligen.
Auf dem Russischen Friedhof am Südring sind 103 Menschen bestattet, die als Kriegsgefangene und Zivilpersonen Zwangsarbeit in Werne leisten mussten: Russen, Weißrussen und Ukrainer, Polen und Rumänen. Des Weiteren 13 Frauen und zehn Kinder.
Hier hatten Bürgermeister Lothar Christ, die SPD-Fraktion und Regierungspräsident Hans-Josef Vogel im Beisein des stellvertretenden Landrats des Kreises Unna, Martin Wiggermann, sowie Vanessa Schmolke vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge zuvor Kränze niedergelegt. Die Gäste waren nach Werne gekommen, um die Initiative der AFG-Schüler/innen zu würdigen, die damit eine Brücke der Erinnerung zwischen Zeitzeugen und junger Generation bauen.
Wernes Bürgermeistert lobte die Initiative der AFG-Schüler/inne, die sich seit einiger Zeit im bundesweiten Demokratieprojekt OPENION engagieren. Dabei gelte es, sich mit lokalen Verbänden und Einrichtungen zu vernetzen, um außerschulische Demokratiebildung zu fördern. Mit Unterstützung von Susanne Maetzke vom Stadtarchiv und Dr. Constanze Döhrer vom Stadtmuseum sei es inzwischen bereits möglich geworden, im Rahmen von Recherchearbeiten immer tiefer in die Geschichte(n) der Zwangsarbeit(er) in Werne einzudringen.
Die Recherche sei ein Zeichen aufrichtiger Anteilnahme und ermögliche neue Formen und Inhalte des Gedenkens, zollte Christ den Jugendlichen „in Zeiten nachlassenden Engagements“ Anerkennung.
Man müsse aus der Vergangenheit lernen, um eine Gesellschaft in Frieden, Freiheit und Demokratie zu schaffen, betonte AFG-Schulleiter Marcel Damberg in seiner Ansprache. Allein 3.300 Zwangsarbeiter hätten für die Zeche Werne gearbeitet. Andere verrichteten im Bergbau, auf dem Bau, in der Landwirtschaft und in Privathaushalten unter schlechter Unterbringung in Lagern und Hunger Zwangsarbeit. Die OPENION-AG setze sich in Ermangelung von Zeitzeugen heute für eine starke Demokratie ein. Das AFG stehe für generationsübergreifende Erinnerungskultur gemäß des Schulmottos „Wir verbinden die Welt“.
„Mit der Übernahme der Patenschaft leistet das Gymnasium Großartiges, die Initiative müssen wir nach vorne holen“, strich der Arnsberger Regierungspräsident Hans-Josef Vogel heraus. „Sie forderten nicht bloß etwas und verbinden dadurch die Welt“, ergänzte er. Sie leisteten eine Beitrag dazu, die Namen der Opfer zu erhalten, wie es auch Ziel und Auftrag des Volksbundes sei. „Heute ist Freiheit von Rechtsextremismus und Verharmlosung des Holocausts bedroht“, warnte der Regierungspräsident. „Mein Kollege Walter Lübcke wurde Opfer von Hass und Rassismus“, sprach er die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten 2019 durch den Rechtsextremisten Stephan Ernst an.
Im Programm der Gedenkfeier trugen Maria Müller auf Russisch und Lars Sondermann auf Deutsch das Gedicht von Wolfgang Borchert „Dann gibt es nur eins!“ vor. Mit der Übergabe einer Mappe mit den Ergebnissen ihrer Archivforschung zum „Russischen Friedhof“ gaben Paul Holtmann und Alexandra Böcker nach zwei Jahren Mitwirkung in der OPENION-AG den Staffelstab an Lea Henschel und Liv Thiesen weiter. Liv und ihre Schwester Stella spielten auf der Violine den Titelsong des Films „Schindlers Liste“ von John Williams & Itzhak Perlmann.
Im abschließenden Podiumsgespräch tauschten Schüler/innen und Lehrkräfte des AFG, Museumsleiterin Dr. Constanze Döhrer, Vanessa Schmolke, Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge Gedanken aus.