Werne. Er werde, sagte Helmut Zierl zu Beginn seiner Lesung im Alten Rathaus, die aktuelle Situation nicht kommentieren, weder die Pandemie noch den Ukraine-Krieg. „Das alles ist schlimm genug, aber ich bin heute Abend hier, um Sie zu unterhalten.“
Und das tat der Schauspieler, der jüngst mit seinem Buch „Follow the Sun – Der Sommer meines Lebens“ unter die Autoren gegangen ist. Die Ausreißer-Geschichte faszinierte am Samstagabend (26. März) etwa 50 Zuhörer.
1971 war Zierl, Sohn eines Polizisten im norddeutschen Lütjensee, von Zuhause ausgerissen. Er trampte nach Brüssel und Amsterdam, tauchte in die Hippie-Szene ein und lernte, dass der Traum von den Blumenkindern dunkelste Schattenseiten hat. Als Zierl schonungslos vom Abgleiten in den täglichen LSD- und Mescalin-Konsum erzählte, breitete sich beklemmendes Schweigen im Publikum aus. Nur vor Heroin sei er im letzten Moment zurückgeschreckt, erklärte der Schauspieler. Doch sein Buch ist, wie das Leben spielt: Es gibt auch jede Menge komischer Seiten. Die lebendigen Schilderungen einer skurrilen Brüsseler Aussteiger-WG brachten die Zuhörer immer wieder zum Lachen.
Als Schauspieler weiß Zierl, wie er Menschen fesselt: Seine Lesung war auch ein Kammerspiel. Er raunte, brüllte, lispelte. Er fluchte wie ein Clochard und knirschte seine Worte durch die Zähne, als er seinen zornigen Vater imitierte. Er bettete spannungsgeladene Pausen ebenso effektvoll ein wie einen munteren Plauderton. Außerdem versetzte er sein Publikum mithilfe eines „ollen Kassettenrekorders“ in die Stimmung der Hippie-Zeit. Janis Joplin und Simon & Garfunkel ließen ihre Stimmen erklingen. Und als Led Zeppelin aus den Lautsprechern schepperte, streifte man mit Helmut Zierl nachts um halb Zwei durch Brüssel – allein und heimwehkrank.